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Großgartacher Käsritt - Geschichte und Neubeginn

Die Geschichte
Die Großgartacher werden allüberall die Käsreiter genannt. Während aber die Nennung dieses Schimpfnamens in früheren Zeiten Anlaß war, „den Ranzen voll zu kriegen" (so der heutige Reitergeneral Walter Reuther in einem Rundfunkinterview), gilt der Ausdruck heute als Ehrenname, und dies nicht nur wegen der unbestreitbaren sportlichen Erfolge unserer Reiter, sondern vor allem wegen des Heimatfestes „Großgartacher Käsritt", eines der großen und traditionellen Heimatfeste des Unterlandes mit Ausstrahlung weit über unsere Region hinaus.

Der Ursprung der Käsreiterbezeichnung ist geschichtlich verbürgt. Im Nordosten unserer Markung grenzt von Frankenbach her der Hipfelhof an, ein Rittergut, Hipfelbeuren oder Huppiluren genannt. Dort besaßen die Großgartacher im Mittelalter ein Weiderecht. Der Ursprung dieses Weiderechts auf den Bruchwiesen, auch Bruchmaad und Brühmend genannt, läßt sich nicht ermitteln, wohl aber dessen Ende. Es kam immer wieder zu Streitigkeiten wegen der Ausübung dieses Weiderechts, sei es, weil die Großgartacher weniger als notwendig auf ihr Vieh aufpaßten oder weil man mangels genügender Weideplätze hin und wieder auch die Weidegrenzen nicht ganz so pingelig genau beachtete, weil man hierzulande immer schon gegen bürokratische Übergenauigkeiten war.

Jedenfalls gabs Streit, und die Großgartadier in ihrer Pfiffigkeit ließen sich auf einen höchst vorteilhaften Handel ein. Sie ließen sich die Ablösung des Weiderechts mit der Lieferung zweier stattlichen, zusammen 12 bis 16 Pfund schwerer Käselaibe vergelten, um so den Umweg vom Gras über Kuh und Milch zum Käse zu sparen. Die Großgartacher durften diese Käslaibe jedes Jahr am Pfingstmontag abholen. Andere Deutungen des Ursprungs des Käse-Rechts sprechen vom Abtreten eines Weges oder Wege rechts oder auch von einer Wallfahrt der Großgartacher zum Hipfelhof in vorreformatischer Zeit. Während der Zeit des Gottesdienstes auf dem Hipfelhof hätten die Großgartacher das Recht gehabt, ihr Vieh kostenlos auf einer Wiese des Hofs weiden zu lassen. Als nach der Reformation, als Großgartach lutherisch wurde, die Wallfahrt und somit das Weiderecht gegenstandslos wurden, habe man als Zins den jährlichen Käse vereinbart. Tatsache ist jedenfalls, daß die Großgartacher ein Recht aufgaben und sich dafür jährlich den Käse abholen durften.

Unser Mitbürger Karl Schurr hat ein Theaterstück in drei Bildern geschrieben mit dem Titel „der erste Käsreiter von Großgartach", in dem er den Ursprung des Käsritts zu deuten versuchte. Das Stück handelt von dem Eberhard Maierhofer, der 1519 den „Maierhof" neben der Großgartacher Laurentiuskirche bewirtschaftete. Zum Dank für die große Tapferkeit der Großgartacher Reiter in der Schlacht von Lauffen im Jahre 1534 gegen Österreich verfügte Herzog Ulrich zu Württemberg und Teck, daß der in der Schlacht gefallene Eberhard Maierhofer in der Kapelle des Hipfelbeuren ein Ehrengrab erhalten solle.

Die wörtlichen Schlußsätze des Theaterstücks lauten: „Unsere Regierung regelt mit dem Pater Pfleger des Hipfelbeurener Hofes dieses und andere Verbindlichkeiten vermittelst des Handschreibens am einfachsten so, daß das schon längst strittige Eigentumsrecht der Bruchmahd von uns an den Hof unentgeltlich, jedoch gegen eine einmalige Weidebenützung am Pfingstmontag jeden Jahres, abgetreten wird. Dafür hat der Hof auf ewige Zeit das Ehrenmal zu erhalten und den Reitern von Großgartach, die es am obigen Tag besuchen, umreiten und mit einem Blumenstrauß schmücken, zwei Laibe Käs von 16 Pfund auszuhändigen, damit in der ganzen Gemeinde eine würdige Feier zu Ehren ihres ersten gefallenen Reiterführers Eberhard Maierhofer, den wir hiermit für seine große Treue, Umsicht und Ehrenhaftigkeit zum Grafen von Ravensberg und Taschen erheben, abgehalten werden kann. Der Käsritt, wie wir ihn heißen wollen, ist stets in unserem und im Sinne des Gefallenen mit einem Wettreiten auf den Hof und zurück zu verbinden und sollen die Reiter an diesem Tag beweisen, daß sie der Heimat zu Schutz und Trutz jederzeit bereitstehen."

Soweit das mit dichterischer Freiheit gestaltete Theaterstück, in dem auch ein „Käsreiterlied" erwähnt wird. Karl Schurr schreibt hierzu, daß der geschichtliche lang gesuchte württembergische Maierhof in Großgartach war, am Platz des nachmaligen Ergenzinger - Koppenhöferschen Anwesens, und daß der Maierhofer jeweils der Führer der hiesigen württtembergischen Bauern war.

Der Hipfelhof war ursprünglich kein Großhof, sondern bestand aus mehreren Einzelbesitzen, die durch „Bauernlegen" zu einem geschlossenen Besitz vereinigt wurden. Der Hof gehörte im Mittelalter dem Deutschritterorden.

1238 hat der edle Ritter Wilhelm von Trykels, Kaiserlicher Reichstadtvogt zu Wimpfen, den Hipfelhof, den er durch Heirat erhalten hatte, an das geistliche Hospital in Wimpfen vermacht. Diese Schenkung wurde 1255 auch vom römischen König Wilhelm bestätigt und in den römischen königlichen Reichsschutz und -schirm genommen. 1601 soll der stark verschuldete Hipfelhof vorübergehend an die Reichsstadt Heilbronn gefallen sein. 1634 plünderten die Kaiserlichen den Hof, der darauf an den Ordenskonvent gegeben wurde. Im Jahre 1680, nachdem der Hipfelhof hundert Jahre keinen neuen Schutzbrief hatte und die Großgartacher Nachbarn sich weitere Rechte angeeignet hatten, wurde eine neue Ausfertigung des Schutzbriefes angefordert, die jedoch erst 1704 vom Herzog bestätigt wurde.

Nach den Berichten waren die Wimpfener Spitalbrüder zu allem Unheil mehr lebens- und sinnenfreudig (was nebenbei gesagt auch nicht das Schlechteste sein soll) und weniger auf ein heiliges und in sich gekehrtes Leben bedacht. Der geistlichen Obrigkeit mißfiels, und die Wimpfener Brüder wurden im Jahre 1695 wegen Mißwirtschaft abgelöst. Der Hof fiel auf Anordnung des Ordensgenerals in Rom an das Hospital zu Memmingen. Dieses setzte einen Pfleger ein. Der Hipfelhof blieb längere Zeit von Quartier und Abgaben verschont. Aber im März 1745 wurde er mit Durchmarschquartier und Vorgespann sowie Lieferungen schwer betroffen.

An die Stelle der lebenslustigen Wimpfener Brüder kamen die glaubensstrengeren und arbeitsameren Memminger Spitalbrüder, die das frühere freiadlige Rittergut fortan etwas frommer verwalteten.

Die rauen Allgäuer sorgten für Zucht und Ordnung und ließen die Großgartacher, die zudem noch lutherisch und damit sowieso verdächtig waren, zunächst einmal dreifach das Hipfelhof-Kirchlein umreiten, damit siebessere Gedanken und vielleicht auch Hunger bekämen, und manchmal war die Kässpende wegen der mangelhaft geschniegelten Pferde oder wenn die Reiterzahl nach Ansicht der Patres ruhig hätte etwas stattlicher sein dürfen, gar ganz strittig. Fast so schlimm war es, wenn der Pater Pfleger (Pfleger = Verwalter) den Käse nach Ansicht der Großgartacher gar zu klein gemacht hatte.

Ansonsten war der Allgäuer Emmentaler Käse sicher nicht von schlechter Qualität, denn die Sitte des Käsholens war alljährlich Anlaß eines munteren Dorffestes. Morgens schon herrschte ein buntes Treiben. Die Burschen der Gäulbauern sammelten sich vor der Kirche, und wenn der letzte eingetroffen war begann der Ritt zum Hipfelhof, der außerhalb des Dorfes in ein wildes Jagen mündete, denn jeder wollte der erste am Hipfelhof sein. Ruhm und Ehre für ein Jahr war ihm gewiß, wie einst dem Sieger von Olymp.

Das ganze Dorf war beim festlichen Ausritt versammelt, die Burschen hatten ihr bestes Hemd und ihre schmucksten Stiefel an, und in der Hand hatte jeder einen Blumenstrauß. Die Übergabe des Käses auf dem Hipfelhof erfolgte nach festem Ritual. Der erste angekommene Reiter überreichte seinen Blumenstrauß und hielt folgende Ansprache: „Guten Morgen, Herr Pater Pfleger! Da wir Großgartacher das Recht haben, allhier auf dem freiadligen Gut Hipfelhof alle Jahr einen Käs abzuholen, so wollen wir es beim alten belassen und nichts Neues aufbringen." Wohl älteren Datums und auch etwas logischer dürfte die Formulierung sein „also wollen wir nichts Neues aufbringen, noch was Altes abkommen lassen". Die beiden Reiter, die beim Wettrennen zuerst an der Kapelle angekommen waren, durften die beiden Käslaibe in Empfang nehmen. Nach dem dreimaligen Ritt ums Kirchlein gings im Trab heimwärts.

Am Dorfeingang warteten die Dorfschönen, von denen es eine ganze Menge gegeben haben soll (insoweit haben wir es heute tatsächlich beim alten belassen), hüllten die beiden Käslaibe in bunte Tücher und befestigten sie an Birkenstämmchen, von denen bunte Bänder flatterten. An diesen Brauch erinnert heute noch der Bändertanz der Tanzgruppe des Heimatvereins beim Fest. Die Reiterschar zog ins Dorf hinein, voran die beiden „Käsreiter", und vor dem Haus des Bürgermeisters und des Pfarrers wurde Halt gemacht, und die beiden Prominenten erhielten ein erstes Versucherle vom Käs. Auf dem Dorfplatz, wahrscheinlich dem „Kegelplatz" bei dem heutigen Gasthaus zur Linde, wurde der Käs verzehrt, bei Tanz und Spiel, und mit Wein bis spät in die Nacht hinein.

Der Hipfelhof fiel 1803 durch Reichsdeputationshauptschluß in die Hände des Großherzogs von Hessen. Aus unbekannten Gründen wurde er einem Grafen Montgelas weitergegeben, der ihn 1811 dem berühmten Stuttgarter Verleger von Goethe und Schiller Johann Friedrich Freiherr Cotta von Cottendorf verkaufte.

1836 war ein Zeitalter der Verwaltungsvereinfachung und Rationalisierung, wie es sich gelegentlich wiederholen soll. Dabei wurden landesweit im Zuge einer Bereinigung alter Vorschriften diese Rechte abgelöst. Es ist durchaus möglich, daß die früheren ständigen Streitigkeiten um das alte Käserecht, das zu „Unfug und Mutwillen" geführt haben soll, beide Teile, die Großgartacher und die Spitalsbrüder auf dem Hipfelhof, so verdrießten, daß sie der Verfügung des Landes keinen Widerstand entgegensetzten oder gar selbst die treibende Kraft bei der Vereinbarung waren, die dann mit dem neuen Eigentümer Cotta abgeschlossen wurde. 40 Goldgulden (andere Quellen sprechen von 20 oder 25 Gulden) erhielt die Gemeindekasse anstelle des jährlichen Käses als einmalige Abfindung, und man hätte genauso gut ein Linsengericht geben können, so schmerzt es uns Heutige beim Rückblick auf diese Gegebenheit. Nur die Erinnerung an den Allgäuer Käse vom Hipfelhof blieb und dazu hatten die Großgartacher noch ihren Schimpfnamen Käsreiter behalten, und wurden zuweilen auch Käsbube genannt.

Es mag eine schwere Zeit für den Nationalstolz der Großgartacher gewesen sein. - Übrigens: Der Käseritt gehört eindeutig und ein für alle Mal der Vergangenheit an. Seitdem Neubeginn 1950 heißt das Fest „Käsritt" (ohne das e). Die damalige Urkunde lautet: „Dagegen hat die Gemeinde an Ablösungen erhalten: Von dem Besitzer, des Hipfelhofes für eine jährliche Abgabe von 12 bis 16 Pfund sog. Pfingstkäs mit Regierungsgenehmigung vom 8. Januar 1838 40 Gulden ...

Diese Leistung wurde bis vor einigen Jahren von Großgartacher jungen Burschen frühmorgens (am Pfingstmontag) zu Pferd auf dem Hipfelhof abgeholt und der Käs sofort unter dieselben verteilt ...

Die jungen Burschen müssen frühmorgens (am Pfingstmontag) zu Pferd auf den Hipfelhof kommen, um die Kirche herumreiten und einen Strauß an dem Pfleghaus präsentieren".

Der Eintrag, im Hipfeihofer Lagerbuch von 1811 lautet: „Und diese Gabe hat ihren Ursprung darin, daß die Großgartacher ihr Recht zu einer Wallfahrt auf den Hipfelhof, auch zu neuester Zeit und als lutherisch, ausüben."

Das traditionsreiche Kirchlein des Hipfelhofs wurde leider im Kriege durch eine Bombe zerstört. Heute ist der Hipfelhof im Besitz des Tierarztes Freiherr Dr. Gundoif von Houwald, dessen Großmutter eine geborene Cotta war. Zu seinem Praxisbereich gehört auch unsere Gemeinde, der 250 ha große Hof ist seit 90 Jahren an die Süddeutsche Zucker AG verpachtet. Verwalter dieser Firma ist seit einigen Jahren Herr Otto Herrmann. Zuvor war Verwalter während vielen Käsrittfesten nach dem Krieg Herr Georg Rügamer, der jetzt im Ruhestand in Heilbronn-Böckingen wohnt. Das Gebäude der Tierarztpraxis war früher das Jagdhaus, das davor rechts liegende Gebäude war einmal eine Mühle. Das Verwaltungsgebäude, vor dem traditionell der Käse abgeholt wird, steht südwestlich davon. Die im nordwestlichen Teil des Hofes liegende Eigentümerwohnung ist als jüngstes Gebäude kurz nach 1811 erbaut worden.

Das Recht der Großgartacher auf einen Käs ist zwar erloschen, aber die Gutsverwaltung des Hipfelhofs stiftet bei unseren heutigen Festen diesen Käse. Verändert hat sich der Termin von Pfingsten auf September, nach dem Abzüge der Memminger Mönche gibt es statt dem Allgäuer Käse den Gouda, und der Käsrittsieger wird nicht mehr auf dem Ritt zum Hipfelhof ermittelt, sondern hinterher auf dem Festplatz. Auch soll es die früheren Streitigkeiten um die Größe des Käses und um den Sonntagsstaat der Reiter seit längerem nicht mehr geben, sondern die Reiter werden, wenn der Anführer seine traditionelle Begrüßung mit den Originalzitaten von früher vorgenommen hat, vom Verwalter mit Wein und natürlich Käse bewirtet. Was früher Anlaß zu Streit war, ist heute Anknüpfungspunkt einer freundschaftlichen Verbindung zwischen dem Hipfelhof und unseren Reitern.

Der Großgartacher Käsritt ist heute das Heimatfest der Gemeinde Leingarten, und Großgartacher und Schluchterner feiern miteinander den historischen Brauch.

Wenn wir nach den tieferen Ursachen des Brauches forschen, wenn wir die wirtschaftlichen Gegebenheiten einmal außer Betracht lassen, dann stoßen wir zweifellos auf religiöse, ja auf kultische Bräuche des Rittes zu historischen Stätten.

Der auch heute noch gefeierte Gangolfsritt in Neudenau geht wohl auf gemeinsames mittelalterliches Brauchtum zurück. Auch anderswo fanden früher, zum Teil noch heute, ähnliche Volksfeste statt, z.B. in Derdingen bei Maulbronn und in Schwäbisch Hall. In Weingarten findet alljährlich am Freitag nach Himmelfahrt der traditionelle Blutritt statt, eine Reiterprozession, die durch die Straßen und über die Felder der Klosterstadt führt. In Hall soll jährlich ein Kuchen zur Erinnerung an die Löschung eines Mühlenbrandes versprochen worden sein.

Die Formen des Festes wechselten im Laufe der Zeit, doch wurden Neuerungen nach Möglichkeit seitens der Behörden eingeschränkt, da man vermeiden wollte, daß aus dem steifen, symbolreichen Zeremoniell ein Volksfest werde. Das Fest in Schwab. Hall fand ebenfalls an Pfingsten statt. (Wenn es in Großgartach ebensolche Versuche der Bürokraten gegeben haben sollte, kein Volksfest entstehen zu lassen, so ist das zumindest hier gründlich mißlungen). Man holte die Kuchen von der Mühle ab, ritt bei der Rückkehr um den Marktbrunnen und vergnügte sich später beim Wein mit Tanz und Spiel. Es wird vermutet, daß es sich um ein Gedächtnisgeschenk handele, das die Mühlen anstelle des Mühlzinses zu reichen hatten.

In Derdingen durften die Hofdiener und die Knechte, später die ledigen Burschen von Ober- und Unter-Derdingen, von der Oberen Mühle sechs und von der Unteren einen Kuchen abholen. Als Grund wird u.a. angegeben, daß die „beede Mühlenen dem Closter (Maulbronn) mit einem ziemlichen Mühlzinnß verbunden, zur gedächtnuß denenselben Kuchen gegeben, und also uffgezöhrt und empfangen worden." Die Kuchen wurden von berittenen Burschen abgeholt, an verzierten Stangen befestigt, in den Amtshof gebracht und dort neben einem Trunk Wein unter die Hofbedienten verteilt.

Einen ähnlichen Verlauf nahm der Sindelfinger Kuchenritt. Die Kuchenabgabe der Müller gab es schon 1535; sie wird 1547 als „von alther" bezeichnet und kann daher keine Stiftung des damals regierenden Herzog Ulrichs (1498 bis 1550) gewesen sein. Später wurden die Kuchen nicht mehr an die Bürgerschaft, sondern je einer an die Honoratioren und an die ledigen Bauernburschen abgegeben. Warum diese Änderungen erfolgten, ist unbekannt. Jedenfalls steht fest, daß ein Brauch sehr wohl Veränderungen unterworfen sein kann. Anzumerken ist, daß die Sindelfinger auch die „Käsreiter" genannt werden, jedoch wird dieser Spitzname nicht mit dem Kuchenritt zusammenhängen, sondern sonst irgendwie entstanden sein. Der Sindelfinger Kuchenritt wird wie der Großgartacher Käsritt heute wieder gefeiert, nachdem er wie bei uns etwa 1836 eingestellt worden war. Vom 22. Juni bis 1. Juli 1979 findet dieser Kuchenritt statt, mit einem Festzug am 1. Juli, anschließend Kuchenübergabe, Reiterspiele, Ballonsteigen.

Um 1700 muß es noch erheblich mehr Orte gegeben haben, wo ähnliche Feste gefeiert wurden. Im Bericht über die Kirchenvisitation von 1706 in Sindelfingen wird darauf hingewiesen, daß die Sindelfinger zu ihrer Entschuldigung vorbrachten – das Kuchenreiten war 1705 verboten worden, hatte aber dennoch stattgefunden - daß solche Feste auch in Maichingen, Schafhausen und anderen Orten des Böblinger Amts begangen würden.

Der Neubeginn
Es war die schwere Zeit nach 1945, als man sich des historischen Brauches erinnerte, der über hundert Jahre geruht hatte. Eigentlicher Anlaß waren - wie so oft im Leben – wirtschaftliche Notwendigkeiten. Man hatte mehr Wein als Abnehmer und suchte ein Volksfest, mit dem sowohl die Laune der Großgartacher als auch der Umsatz des Volksgetränkes zu heben war. Aber auch der Gedanke der Dorfgemeinschaft spielte eine Rolle.

Es war der historische Verdienst des Kunstmalers und Graphikers Richard Herda-Vogel, den die Kriegswirren von Heilbronn nach hier verschlagen hatten, anhand von alten Aufzeichnungen in den Rathausarchiven den Käsritt wiederentdeckt zu haben. Der zweite Vorsitzende des Gewerbevereins hatte anfänglich nicht sehr viele Befürworter seiner Idee, wie es vielen ergeht, die ihrer Zeit etwas voraus sind. Ausgerechnet das Schimpfwort Käsreiter wollte er populär machen, und hätte er nicht in Bürgermeister Hans Sauter einen Förderer des Vorschlags gefunden, wäre die Zukunft des Käsritts wohl anders verlaufen. Eine treue Mitarbeiterin fand der Künstler in seiner Frau, die die neugeschaffenen Käsreiteruniformen nähte. Zunächst fertigte sie eine Käsreiterpuppe fürs Schaufenster von Gotthilf Haussier. Die vertraute gelb-braune, in dieser Zusammenstellung wohl einmalige, Farbzusammenstellung war eben falls eine Arbeit des vielseitigen Künstlers. Seine größte Leistung beim Käsritt dürfte aber die Vorbereitung und Gestaltung der Festzüge gewesen sein. Die örtlichen Gruppen wirkten zusammen, damit das Fest zu einem Volksfest für Großgartach und den gesamten Heilbronner Raum werden konnte. Die Organisation und finanzielle Trägerschaft war in den Händen der Gemeindeverwaltung, die hierfür aus Gemeinderäten und sachkundigen Bürgern einen Festausschuß bildete.

Die Bewirtung erfolgt durch den Gewerbeverein. Festwirt war mehrere Jahre lang der Hilzbildhauermeister Rudolf Nagel, der mit „Runa" annoncierte. Das Programm gestalteten zum großen Teil die Reiter, die eine Abteilung des Sportvereins waren und noch heute sind. Reiterführer Gerhard Nagel hatte 1950 bereits eine stattliche Truppe beisammen. An zweiter Stelle im Festprogramm wird damals bereits Walter Reuther genannt der 1956 zur Nummer eins aufrückte und als einziger alle Käsritte seit 1950 aktiv mitgemacht hat. Käsreiter waren Eberhard Boger, Walter Boger, Walter Flinspach, Rudolf Beutelspacher, Reinhold Sieber, Reinhold Wacker, Heinrich Eheim, Martin Maulick, Hermann Hoffmann, Gerhard Keppler, Alfred Röslen, Alfred Eitel, Dr. Wolfgang Foerster, Adolf Gysin, Alfred Zimmermann, Hermann Runke. Seit Beginn des Käsritts sind zum Wettrennen nur Reiter des hiesigen Vereins zugelassen.

Geändert hat sich lediglich, daß das Startgeld von 2 DM (1950) heute nicht mehr erhoben wird.

Interessant ist, nach so langer Zeit den Anzeigenteil des Programmhefts von 1950 zu lesen. Die Weingärtnergenossenschaft Großgartach gab bekannt: „Auf 95 ha Weinbaufläche an den Südhängen des Heuchelbergs werden die bekannten Sorten Trollinger, Lemberger, Schwarz- und Weißriesling erzeugt. In dem von der Gemeinde gepachteten Kelter-Keller wird auf den Ausbau der Weine großer Wert gelegt, um ein bestmögliches Erzeugnis auf den Markt zu bringen. Beim Käsritt auf der Festwiese werden Großgartacher Genossenschaftsweine ausgeschenkt. Zum Genuß und regen Absatz derselben ladet freundlichst ein Weingärtnergenossenschaft Großgartach". Weitere Anzeigen kommen unter anderem von der Spar- und Darlehenskasse Großgartach, vom Gasthaus mit Metzgerei „Zum Adler" (Schütz-Wolff), Metzgerei-Restauration König „gegründet 1591", Lebensmittel und Manufakturwaren Gotthilf Häußler, (einer der eifrigsten Käsrittmitarbeiter), die Linden-Lichtspiele, Gasthaus u. Metzgerei zum Hirsch (Ernst Herrmann), Küferei und Brennerei Ernst Sautter und der „Schneider der Mode" Josef Dietz. Unglaubliches verhieß die Brauerei:  
                 Bier wird jetzt billiger,
                 drum trinkt williger
                 das gute Rosenaubier

Und schließlich annoncierte das Zimmergeschäft Karl Hoffmann, dessen Inhaber damals wohl kaum damit gerechnet hat, 19 Jahre später an der Spitze des Heimatvereins selbst Gestalter des Festes zu sein.

Das Programmheft hatte auf der Titelseite schon damals den traditionellen Käsreiter mit dem Untertitel „das uralte Heimatfest". Festplatz war in den ersten beiden Jahren der Wasen, hinter der Zichorienfabrik, bis man 1952 zum heutigen Festplatz in der Ortsmitte von Großgartach ging. (Eine Überlegung, zum neuen Reitplatz am Heuchelberg zu gehen, ist vor einigen Jahren aufgegriffen, aber dann wieder fallen gelassen worden.) Für den Käsrittsieger stiftete die Gemeinde Großgartach damals eine silberne Medaille als Wanderpreis. Heute erhält der Sieger - außer der durch nichts zu bezahlenden Ehre und einem ebenso ehrenvollen Handschlag durch Bürgermeister und Heimatvereinsvorsitzenden - auch nicht mehr, die Plakette wird zu Beginn des neuen Käsritts zurückgegeben. Der Sieger erhält eine Erinnerungsurkunde.

Lokale Agenda 21

Arbeitskreis Stadtgeschichte
Eine Initiative für die Stadt Leingarten


Agenda ist ein lateinisches Wort und bedeutet "Was zu tun ist". Die Zahl 21 steht für das 21. Jahrhundert.

Der Arbeitskreis LebensRaum beschäftigt sich u.a. mit der Historie der beiden ehemaligen Orte Großgartach und Schluchtern und den Besonderheiten der heutigen Stadt Leingarten. Es ist ein natürlicher Prozess, dass das Wissen über die Vergangenheit verblasst und allmählich verschwindet. Dieses Wissen zu bewahren und zusammen mit den heutigen Merkmalen dieser Stadt jedem zugänglich zu machen, sind Teile der Aufgaben des Arbeitskreises. Daraus entstand die Idee für diese Homepage.

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"Aus erlebter Vergangenheit beginnt Geschichte zu werden" 
Roman Herzog


Leingarten hat eine Jahrtausend lange Geschichte, die wir mit der Lokalen Agenda 21 aufbereiten und der Bevölkerung digital zugänglich machen wollen.

Erlebte Vergangenheit hat jeder Bürger der Stadt Leingarten. Viele wissen etwas zu erzählen, was in der Vergangenheit so war - und wir müssen aufpassen, dass dieses Wissen nicht verschwindet.

Deshalb - wenn Sie historische Bilder, Geschichten oder Unterlagen von den beiden ehemaligen Dörfern Großgartach und Schluchtern haben, wären wir dankbar, davon eine digitale Kopie anfertigen zu können.

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Museum "Altes Rathaus"

des Heimatvereins Leingarten


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Infos: Webpage Heimatverein Leingarten