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Kriegsende 1945 in Großgartach

Vortrag von Dr. med. Werner Eckstein
Zur Erinnerung: die beiden großen Kirchenglocken zu 1100 und 520 kg Kirchenglocken mussten am 23. Januar 1942 abgegeben werden. Nach dem Herausheben vom Glockenstuhl riss das Seil und die große Glocke zersplitterte beim Aufschlag vor der Sakristei. Der Gemeindepfarrer Pfarrer Bergmann war im Krieg und bis zu seiner Entlassung aus russ. Kriegsgefangenschaft 1946 durch Amtsverweser Traub und Superintendant Karl Ladenberger vertreten.

Bürgermeister war seit Mai 1918 Hans Sauter und die B 293 wurde am 15.2.1942 dem Verkehr übergeben.

Der Mangel an Arbeitskräften war groß. Im Hintergebäude des Löwen befand sich ein Kriegsgefangenenlager für 15-20 Gefangene. Sie wurden morgens teilweise von Kindern für die Feldarbeit abgeholt und abends zurückgebracht.

Am 4.6.1940 erfolgte der erste Fliegeralarm.1941 wurden Sammelräume für den zivilen Luftschutz im Gasthaus zum Löwen – Hintergebäude- und in dem Bier und Eiskeller von Albert Röslen Ecke Heuchelberg und Bergstrasse eingerichtet.

Vom 3.12.1944 bis Kriegsende war das Heerespferdelazarett Nr. 430 einquartiert.

Beim Angriff auf Heilbronn am 4.12.1944 wurden Großgartacher Gemarkung zwischen 19.10 Uhr und 20.10 Uhr nach Angaben der Ortschronik 1000 Brand- und 20 Sprengbomben abgeworfen.

Panzersperren wurden Ende März 1945 errichtet und am 2. und 3 April hauptsächlich von „Frauen wieder entfernt, nachdem der Kreisleiter nichts mehr zu befehlen hatte“. (BM Sauter punkt 3).

Die Panzersperren waren ca. 3 m hohe vorwiegend Eichenbalken, die 2 m tief in die Erde eingegraben wurden. In der Heilbronner Strasse beim Kaufmann Röslen, der Heuchelberg- und Frankenbacherstrasse sowie nach Schilderung des Zeitzeugen O. Krieger auch der Bahngasse.

Immer wieder wurde Luftalarm ausgelöst: Die JaBos flogen das Leintal hinab in Richtung Heilbronn – manchmal 2 – 3 x pro Tag. Bevorzugtes Ziel war die strategische Bahnlinie Heilbronn-Germersheim und LKW’s. Aber auch auf Menschen wurde geschossen - so berichten Zeitzeugen

02. Februar:  2 Sprengbomben zu 5 kg auf den Posten 66
15. Februar:  1 x 250 kg Sprengbombe beim Wasserwerk in der Eppinger Strasse
1.+ 5. März:   je 4 Spreng- und 200 Stabbrandbomben im unteren Wiesental + Bordwaffenbeschuß
                     Bombentrichter 6 m breit und 4 Meter tief.
20. März:      12 englische Jagdflugzeuge mit Borwaffenbeschuss (Trude Reber berichtete darüber).
                     Eine 5 kg Sprengbombe zerstört Hochspannungsleitungen im Gewann Moosich.
23. März:      wieder Bordwaffenbeschuss: „Ungehindert konnten die feindlichen Jagdbomber ihre Ziele anfliegen und Bomben abladen“.

Auf Großgartach wurden während des Krieges 250 Brandgranaten und 10 Sprengbomben abgeworfen, auch im Heuchelberg, Stahlbügel und unteren Wiesental.

„Durch die Ortstrassen ziehen Pferde, Wagen, LKW’S. Soldaten, die deutschen Truppen fluten zurück ins Land und suchen Quartier. . Tausende Flüchtlinge passieren den Ort-Tag für Tag und Nacht für Nacht- so im Protokoll von 1. + 2. April 1945. Aus dem Stadtgebiet Heilbronn mussten nach dem 4. Dezember 400 - 450 Personen in Großgartach, das 2750 Bewohner zählte, untergebracht werden“. Heilbronn hatte im April 1945 noch 7000 Einwohner gegenüber 77.000 vor dem Krieg.

Luftschutzkeller wurden weiter ausgebaut. So auch unter der Turnhalle für 125 Kinder des Kindergartens neben den erwähnten in der Kastanienstraße und unter dem Löwen. Jedes Haus musste bombensichere Keller mit Notausstieg bauen, teilweise auch unterirdische Verbindungen zu den Nachbarhäusern und Stützpfeiler für die Gewölbekeller.

Der Beschuss durch die Jagdflugzeuge ging ungehindert weiter. Dier elektrische Strom fiel aus und damit auch die zentrale Wasserversorgung. Wir hatten ja hier in Großgartach seit 1907 die zentrale Wasserversorgung, 16 öffentliche Brunnen und viele Hausbrunnen.

Von Gründonnerstag 30. März bis 2. April wurde der kommandierende General der 1. dt. Armee General Förtsch mit seinem gesamten Stab einquartiert. Er machte damals erfolglos den General des Reichstatthalters Murr auf die widersinnige Fortführung des Krieges aufmerksam. Bei seinem Rückzug wünscht er Bürgermeister Sauter, dass die Besetzung von Großgartach rasch und ohne Verteidigung gehen möchte. „Jedermann soll sein Eigentum nach Möglichkeit behüten und beschützen und ja nicht auf das Feld oder in den Wald des Heuchelbergs gehen.

Hier eine Anekdote: Die Deutschen klauten beim Rückzug die beste Schreibmaschine von Bürgermeister Sauter, eine Olympia.

Ostersonntag 1. April: Ostergottesdienst um 6 Uhr früh durch Pfarrer Traub. Um 07.30 Uhr kreisten bereits Flieger über dem Ort. An Glockengeläut war nur die kleine Taufglocke zu hören.

Ostermontag 2. April: 6 Uhr Gottesdienst und Trauergottesdienst für 3 junge gefallene Großgartacher Soldaten. Am Abend sind Panzerspitzen in Franken eingetroffen.

Osterdienstag 3. April: Frankenbach wird ohne Beschuss besetzt und ein Teil der US Armee ist bis Neckargartach vorgestoßen. Von Westen, von Schwaigern her hört man bereits Panzer auf der B 293 rollen. Im Rosenberger und Heuchelberg hatte sich die Deutschen Wehrmacht verschanzt und am Nordrand von Großgartach Minen gelegt.

Gegen 17.30 Uhr befuhr der Landwirt Hermann Maulick mit seinem Pferdegespann und Dungwagen die Kirchhausener Strasse und wurde im Gewann Vorderes Hessenfeld von einer Mine mitsamt den Pferden in die Luft gesprengt und getötet.

Von diesem Tag 3. April 1945 stammt auch Heinrich Himmlers Flaggenbefehl, der besagt, dass in einem Haus das die weiße Flagge zeigt, alle männlichen Personen zu erschießen seien.
Mittwoch 4. April 1945: Es soll wunderschönes Wetter mit Südwind gewesen sein.

Um 5 Uhr wurden die eiserne Leinbachbrücke bei der Mühle Amos und die Brücke bei der Mühle Amos gesprengt. Auch die Turn- und Festhalle sollte gesprengt werden. Ein Leutnant soll durch die Straßen geeilt sein und wollte den Ort bis aufs Äußerste verteidigen. „Wo schon so viele Ortschaften zerstört seien, komme es auf eine weitere mehr oder weniger nicht an‘“ schreibt ein Berichterstatter. Die Bürger lehnten jeglichen Widerstand ab. Bürgermeister Sauter, Bürgermeistervertrete Wacker und Werkmeister Titus der NSU /Turnhalle hatten einen schweren Stand, die Offiziere von der Sinnlosigkeit ihres Widerstandes zu überzeugen.

Panzer der amerikanischen Armee waren inzwischen auf der B 293 in Richtung Heilbronn aufgefahren mit dem Ziel bei Heilbronn den Neckar zu überqueren. Zeitzeugen berichten von verschanzten Soldaten in der Scheunenreihe nördlich der Heilbronner Strasse.

Der erste Schuß der amerikanischen Panzer traf den Turm der Lorenzkirche mit einer Sprenggranate und deckte das Ostdach über dem Konfirmandensaal ab.

Mein Nachbar, der damals 6 jährige Alfred Betz berichtet: Überall und ganz nahe hörte man Detonationen: Er hatte mit der Familie und Nachbarn in einem selbstgegrabenen Bunker unter der Scheune Heilbronner Strasse 8 Schutz gesucht, als sich ein Geräusch wie prasselnder Regen entwickelte. Die Mutter traute nicht – da es schönes Wetter war, konnte es doch nicht regnen! Als sie die Türe öffnete, stand die Scheune über ihr in lodernden Flammen. Phosphorgranaten hatten alles in Brand geschossen: „Raus. Raus!“ – in Panik rannten alle durch die brennende Scheune – aber wohin? Die Nachbarscheune brannte, das eigene Wohnhaus und Nachbarhaus Sonnengasse 1 standen lichterloh in Flammen. Schnell zum Eiskeller im Geissbuckel, der heutigen Kastanienstrasse – Der gemeindeeigene Schafstall Kastanienstrasse 1 brannte ebenso. Wie er zum Eiskeller gekommen ist, konnte er sich nicht mehr erinnern. . Damals sprach noch niemand von einer kindlichen Traumatisierung.

Die ganze Scheunenreihe an der südlichen Heilbronner Strasse bis zur Kelterstrasse stand in hellen Flammen. Vom Südwind angefacht, griff das Feuer in die Wohnhäuser über, wenn sie nicht direkt mit Phosphorgranaten beschossen wurden.

Die Scheunenreihe der nördlichen Heilbronner Strasse bis teilweise ins Unterdorf (Heilbronner Str. 114, 127-129) wurde ebenfalls durch Brandgranaten beschossen und brannten ab. Insgesamt wurden lt. „Großgartacher Ortschronik Teil II 1933-1956“ - 35 Häuser, 30 Ställe, 24 Schuppen und 10 Anbauten ganz oder teilweise zerstört. Auch der Heuchelturm wurde beschädigt“.

Da die öffentliche Waser- und Stromversorgung schon Tage zuvor zusammengebrochen war, konnte nur mit Wasser der Brunnen und Jauche gelöscht werden. Bei der Sanierung der Gebäudes Heilbronner Straße 12 kam noch ein verkohlter Dachbalken zum Vorschein.

Es war der 3 bzw. 4 verheerende Großbrand in unserem Ort. Am Gründonnerstag 1. April 1685 fiel nahezu das ganze Dorf einem Großbrand zum Opfer. Nur die Laurentiuskirche blieb damals verschont.
Am 19/20.1.1885 lag lt. Ortschronik durch Brandstiftung 1/6 des Dorfes in Schutt und Asche und am 11./12.1891 brannten 4 Scheunen, 3 Stallungen und einige Hintergebäude nieder.

Inzwischen wurde am Kirchturm und an Privathäuser die weiße Fahne angebracht, welche wegen der Rauchentwicklung von den amerikanischen Streitkräften an der Bundesstraße nicht sofort erkannt wurde.

Um 10.30 Uhr begaben sich Bürgermeister Sauter und Bahnhofvorstand Schlagenhauf mit dem 12 Jahre alten Schüler Karl-Heinz Reuther dem 13 jährigen und Kurt Rau ( als Träger der weißen Fahne und Dolmetscher) zum Kommandanten der amerikanischen Armee an der B 293 in der Gegend der Wimpfener Hohle, nördlich der Feldscheune von Hermann Röslen. Die Brücken waren gesprengt. Zum Überqueren des Leinbachs wurde von Einwohnern von Schluchtern eine Leiter gebracht.

Der Kommandant hatte ein Einsehen mit der schweren Not der Einwohner, den Frauen und Kindern und dem Großbrand und ließ das Feuer einstellen, obwohl Reste der Deutschen Wehrmacht noch weiter feuerten. Die Wehrmacht zog sich nach Süden zurück und leistete insbesondere in der Nordheimer Strasse noch heftigen Widerstand.

In der Wickenstrasse 11 kam Frau Erna Müller durch US-Beschuß ums Leben und in der Südstraße 23 Frau Elise Kull geb. Jakob durch eine Granate der Deutschen Wehrmacht. 6 blutjunge 17 jährige Soldaten vorwiegend aus dem Sudetenland plus ein 33 Jähriger mussten bei dem sinnlosen Kampf um Großgartach ihr Leben lassen.

Gegen Abend zogen die Amerikaner in Großgartach ein. Ein Sherman M4 Panzer versperrte das Ende der Bahngasse mit Schußrichtung Kirchplatz. Zeitzeuge Otto Krieger erzählt: „Aber die Großgartacher waren erfinderfisch: Wollte man in die Bahngasse, war kein Durchgang mehr für die Fußgänger. So gingen wir beim Uhrmacher Eckstein in den Laden und durch die Küche in den Hof wieder hinaus ins Geissgässle“.

Ein weiterer Panzer stand lange Zeit im Gewand „Im Ravensberg“.

Donnerstag 5. April: Die Brandherde in Großgartach waren gelöscht. In Schluchtern wehte die weiße Fahne vom Kirchturm und die Amerikaner besetzten den Ort. Keine Zerstörung - Kein Schuß fiel und niemand wurde verletzt.

An Abend zog die französische Armee in Großgartach ein. Besonders gefürchtet waren die Afrikaner und Marokkaner. Es kam zu Plünderungen. „ Weder das Eigentum, noch die Frauen und Mädchen waren von da an sicher. Sie drangen in die Häuser eine, metzelten Hühner nieder, rissen Hasen aus den Ställen und requirierten Lebensmittel- sie machen sich kein Gewissen, alles erreichten sie mit Gewehr und Revolver in der Hand“. Es muss schlimm gewesen sein.

Bürgermeister Sauter durfte im Amt bleiben. Die frz Offiziere machten ihm klar „ wir sind nicht zur Befreiung der Deutsche gekommen. Sie haben streng dafür zu sorgen, dass unsere Befehle ausgeführt werden“ Es wurde eine Ausgangssperre verhängt. Nur in der Zeit von 07.-09 Uhr und 13 bis 15 Uhr durfte die Bevölkerung das Haus verlassen.
Am 5. April sind noch 2 Franzosen und 2 Marokkaner ums Leben gekommen. Sie wurden außerhalb des Friedhofs auf der Westseite begraben, am 11.9.1950 exhumiert und auf den Nationalfriedhof bei Straßburg überführt. Die Marokkaner sollen lt Zeitzeugen (so steht es nicht im Chronikbuch) wegen begangenen Kriegsverbrechen im Hof von Ernst Pfenninger erschossen worden sein.

Und nun Auszüge aus dem Buch „Das Kriegsende“ von Uwe Jacobi:

Freitag 6. April: In der Nordheimerstrasse fielen vormittags Schüsse. Es hieß Privatpersonen hätten auf Franzosen geschossen. Gegen 11 Uhr verlangt der frz. Kommandeur 3O Personen als Geiseln. (Buch „Das Kriegsende“ von Uwe Jakobi Seite 125 – 126) Bürgermeister Sauter wehrt sich verzweifelt „das können Sie nicht von uns verlangen“. Die Franzosen ergreifen willkürlich 10 Männer auf der Straße und sperren sie in einem Klassenzimmer in der Lorenzschule ein. Der 59 jährige Anton Horndacher wird gesundheitshalber entlassen und dafür Helmut Werner gekidnappt. Helmut Werner berichtet erst 1985 über diese Begebenheit. Den Geiseln wird immer wieder gedroht, falls noch irgendwas passiere, werden sie sofort erschossen. Bürgermeister Sauter vermittelt ergebnislos. Ständige Erschießungsdrohungen zermürben die Geiseln, obwohl sie Gustav Pfenninger mit seiner Gemütsruhe zu beruhigen versucht. Zum Essen gab es nur Wasser, Brot und Kekse. Gegen Abend wurde es draußen ruhig und die Bewacher verschwunden. Die Geiseln ergriffen sofort die Flucht. Wie sich später herausstellte, schossen Marokkaner auf Hühner in der Nordheimerstrasse. Aus den Unterlagen geht nicht hervor, wie lange diese Geiselnahme dauerte und wer die Geiseln waren.

Am Nachmittag des 6. April standen plötzlich 200 ehemalige Personen aus Russland und Polen vor Schule und Rathaus und verlangten untergebracht zu werden. Der amerikanische Major verlangte von Bürgermeister Sauter die sofortige Unterbringung und Freimachen der Durchgangstraße. Da Privathäuser, öffentliche Gebäude und Gaststätten bereits durch Amerikaner und Franzosen besetzt waren, wurden sie schweren Herzens im Konfirmandensaal der Lorenzkirche untergebracht. Der amerikanische Major befahl Bürgermeister Sauter die Verpflegung durch ein „gutes Essen“ und nicht nur durch Eintopf. Frau Elise Eberle, Frau Margarete Flister und Frau Marta Sauter übernahmen diese schwere Aufgabe. Auch hier kam es zu Plünderungen: das Wäschelager der Fa Bleyle, im Löwen vom Stammsitz in Ludwigsburg ausgelagert und die Bekleidung des in Heilbronn ausgebombten Pfarrers Traub, der sein Hab und Gut in die Sakristei gerettet hatte.

Das Lager im Konfirmandensaal der Lorenzkirche wurde erst am 9. April durch Veranlassung der Amerikaner geräumt, da die Plünderungen immer mehr zugenommen hatten.

Beide Schulhäuser waren besetzt und viele wertvolle Gebrauchsgegenstände, Lehr und Lernmittel sowie Küchenutensilien entwendet. So auch aus der Gartenschule die Vereinsfahne des Gesangvereins Liederkranz. Sie wurde in Cannstatt wiedergefunden und erst am 6.6.1948 zurückgebracht.
Kommando und Bewachungsmannschaft des Böckinger Kriegsgefangenenlagers - etwa 900-1400 amerikanische Soldaten – war in vorwiegend in Häuser der Nordheimer Straße und im Hoppengraben untergebracht.

Tagebucheintrag vom Sonntag 8. April: „Ein herrlicher Sonntag steigt auf. Klarblauer Himmel. Drüben auf dem Kirchplatz ist der Frühling in vollem Anbruch. Der Ginster wirft seinen goldenen Schleier über das Gemäuer. Aber wer weiß denn, ist es Sonntag – weiß jemand ob es Mittwoch oder Donnerstag oder sonst ein Wochentag ist? Keine Uhr geht recht. Die Fahne auf dem Kirchturm hat sich mit dem Zeiger verwickelt und die vielen Detonationen rütteln am Uhrwerk“.

Tagebucheintrag vom 10. April: „Ein Sonnentag löst den anderen ab. Vögel zwitschern in dem sprossenden Geäst. Aber wir sind Gefangene. Der Landwirt muss zuhause bleiben und kann seinem Acker nicht die Saat anvertrauen, kann die Frühkartoffeln nicht stecken, die ohne Verzögerung in den Boden müssten“.

Am 15. April konnte der erste Gottesdienst um 15 Uhr abgehalten werden. Die französische Besatzung wurde wieder durch Amerikaner ersetzt. Und am 16. April wurden in Heilbronn mehrere Personen auf Anordnung des Kreisleiters erschossen, weil sie die weiße Fahne gehisst hatten.

Großgartach war noch immer ohne Wasser- und Stromversorgung. „Kein Radio. Keine Zeitung. Und die Besatzer werden immer mehr zur Plage“

Um 16 Uhr wurde die 18 jährige Wilma Ortwein beerdigt. Sie erkrankte an einer schweren Angina. Auf Veranlassung des amerikanischen Lagerarztes wurde sie im Krankhaus Sinsheim behandelt – ohne Erfolg.

In der Turn – und Festhalle, in der während des Krieges Kettenkräder als ausgelagerter Produktionsort der NSU Werke Neckarsulm hergestellt wurden, mussten nun Souvenirs für die Amerikaner produziert werden. Beliebt waren Aschenbecher und Dosen aus Granathülsen. Nachdem bekannt wurde, dass bei der Rückfahrt der Soldaten in die USA mit dem Schiff Uhren und Schmuckstücke beanstandet wurden, musste Werksleiter Titus einen zweiten Boden in die Granathülsen einbauen, nachdem die Schmuckstücke usw. eingelegt wurden.

Am 21. April wird die Ausgangssperre gelockert. Zwischen 6 Uhr und 19 Uhr dürfen die Felder bestellt werden. Versammlungen sind weiter verboten, ebenso das Zusammenstehen von mehr als 2 Personen auf der Straße. Lebensmittelkarten. Es kam eine schlimme Zeit.

Zur Einsparung von Kohlen wurden ab 14.11.1945 die Bäckereien Gustav Flinspach, Willy Kuttruff und Hermann Leibbrand vorübergehend geschlossen. In Betrieb blieben die Bäckereien Heinrich Eitel, Friedrich Moll, Friedericke Pfeil und Heinrich.

Am 1. Oktober 1945 wurde auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung der Schulunterricht wieder aufgenommen werden.

Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Zeitzeugen berichten. Frau Ingrid Dietz liest nun aus dem Tagebuch ihres Vaters, Herr Karl Hoffmann:

(Der 18 jährige Karl Hoffmann sollte mit einem Truppentransportzug im Güterwagen ins berüchtigte Kriegsgefangenenlager Böckingen deportiert werden. Das Lager war gefürchtet, denn es ging das Gerücht um, dass alle Gefangenen nach Frankreich in Bergwerke weitertransportiert werden - was sich später als richtig erwies. Beim Passieren des Bahnhofs Klingenberg sprang er an seinem 18 Geburtstag, am 21. August mit einem Kameraden bei ca. 50 km/h vom fahrenden Zug) .

Originaltext „Beim Verlassen des Bahnhofes sagte uns ein Eisenbahner, dass schon seit 22 Uhr Sperrstunde ist, und jeder der noch auf der Straße ist, sofort verhaftet wird. Der Mann warnte uns vor den Amerikanern, die in Großgartach stationiert waren. Trotz der Sperrstunde – es war schon 22 Uhr, marschierten wir über die Felder und kamen um 23 Uhr in Großgartach an. Der Kindergarten war hell erleuchtet und aus den offenen Fenstern hörte man die amerikanische Sprache. Die Kreuzung Heuchelberg-, Kelter- und Bergstraße war hell erleuchtet. Um nicht erwischt zu werden, legte mich auf den Boden und robbte auf dem Bauch liegend, wie ich es beim Militär gelernt hatte, über den Zimmerplatz und verschwand in der Bergstraße. Unten beim Schafstall, sah ich kein Gebäude mehr, nur noch Ruinen füllten den Platz. Plötzlich erschienen 2 Amis, die auf Patrouille waren. In den Ruinen konnte ich mich für ein paar Minuten verstecken, bis die Gefahr vorbei war.

Beim Gang die Heilbronner Straße aufwärts erschien mir immer mehr Helle. Dort, wo hohe Häusergiebel in den Himmel ragten, war plötzlich der Sternenhimmel zu sehen. In der Sonnengasse fehlten einige Häuser, der „Ochsen“, die Bäckerei Eitel, das Wohnhaus Zeyer- für mich gewohnte Anblicke-alle diese Gebäude standen nicht mehr. Ein banges Gefühl quälte mich: steht wohl noch unser Haus, oder ist es ebenso ein Ruinenfeld? Mit zaghaftem Schritt ging ich weiter, sah die Ruine vom Friseur Kohl und Schmied Schneider. Vorsichtig ging mein Blick auf die linke Seite der Heilbronner Straße und stellte freudig fest, dass unser Haus noch stand. Um 23.30 Uhr war ich endlich zuhause und konnte mit meiner Mutter noch meinen 18. Geburtstag feiern. Die Irrfahrt und das Elend, welches mich das letzte halbe Jahr begleitete, fand noch ein gutes Ende.“

Soweit das Tagebuch von Karl Hoffmann.

Gesamtbilanz: Großgartach 214 Personen – gefallen oder vermisst
                       Schluchtern: 76 Personen – gefallen oder vermisst
                       + die 7 Gefallenen Soldaten vom 4.4.1945
                       + 2 Zivilisten + Hermann Maulik
                       + 2 Franzosen und 2 Marokaner
                       + 12 direkt aus Schluchtern deportierte Juden
macht zusammen 316 Personen

Im Heilbronner Friedhof liegt eine Grabplatte mit der Inschrift: „Hier ruhen 41 Euthanasie Opfer. Ihr Tod ist eine Verpflichtung für uns alle“. Die Namen der Toten kennt niemand – schreibt Uwe Jacobi im Buch „Das Kriegsende“. Wie viele von Großgartach und Schluchtern darunter sind, weiß auch niemand.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Dr. Werner Eckstein

Quellenangaben:
• Buch Großgartach Ortschronik Teil II 1933 – 1956,
• Uwe Jacobi: Das Kriegsende , Verlag Heilbronner stimme
• Bürgermeister Sauter: Meldung an das Württ. Statist. Landesamt Stuttgart vom 3. Jan 1949


Fotos:
• Luftbild Großgartach vom 20.09.1929
• Sherman Panzer im Gewann „Im Ravensberg“ : Bild: „Foto Metzger Großgartach“ - Sohn Herbert hat die Genehmigung zum Abdruck des Bildes gegeben.
• Stützmauer im Keller
• Notausstiege im Gewölbekeller
• Aufschrift an den Häusern: „Als Schutzraum geeignet für XX Personen“

Betroffenes Ortszentrum  Shermann Panzer im Birkenweg 
 Luftbild Großgartach vom 20.9.1929  Sherman Panzer im Gewann Ravensberg - heute Birkenweg
   
Kriegsstuetze im Gewoelbekeller Schutzraum bs
Kriegsstütze - Stützpfeiler im Gewölbekeller Schutzraum-Beschriftung "Als Schutzraum geeignet für XX Personen"
   
Notausstieg bs Leinbachbruecke vor Sprengung
Notausstieg aus dem Gewölbekeller Leinbachbrücke vor der Sprengung

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Arbeitskreis Stadtgeschichte
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Agenda ist ein lateinisches Wort und bedeutet "Was zu tun ist". Die Zahl 21 steht für das 21. Jahrhundert.

Der Arbeitskreis LebensRaum beschäftigt sich u.a. mit der Historie der beiden ehemaligen Orte Großgartach und Schluchtern und den Besonderheiten der heutigen Stadt Leingarten. Es ist ein natürlicher Prozess, dass das Wissen über die Vergangenheit verblasst und allmählich verschwindet. Dieses Wissen zu bewahren und zusammen mit den heutigen Merkmalen dieser Stadt jedem zugänglich zu machen, sind Teile der Aufgaben des Arbeitskreises. Daraus entstand die Idee für diese Homepage.

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