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600 Jahre Siegel Großgartach

Wappen Grossgartach  Wappen Leingarten  Wappen Schluchtern 


Vortrag von Dr. Wolfram Angerbauer anläßlich eines Festabends des Heimatvereins Leingarten am 31.8.1979

Kein anderer Kreis des ehemaligen Landes Württemberg weis eine so große Zahl von alten Ortssiegeln und Ortswappen auf wie der Landkreis Heilbronn. Von den etwa 120 selbständigen bzw. ehemals selbständigen Gemeinden hatten vor dem Jahre 1800 mindestens 50, darunter 15 Städte, ein Siegel, ein Wappen oder wenigstens ein feststehendes Ortszeichen. Diese verhältnismäßig hohe Zahl ist zunächst darauf zurückzuführen, daß sich in diesem Bezirk 15 alte Städte befinden, für die der Wappengebrauch stets ein unbestrittenes Recht war. Merkwürdig und auffallend ist aber, daß die siegelführenden Dörfer in diesem nordwestlichen Teil Württembergs schon seit Jahrhunderten weit zahlreicher sind als in anderen Landesteilen und daß hier die ältesten Dorfsiegel Württembergs anzutreffen sind. Ein Bruchstück des ältesten bislang bekannten Dorfsiegels hängt an einer Urkunde vom 25.5.1379, mit der Schultheiß, Richter und Gemeinde von Großgartach mit Zustimmung von Abt und Konvent des Klosters Odenheim eine Frühmeßpfründe in ihrer Pfarrkirche stiften. Es ist darauf eine Figur auf einem Rost zu erkennen, die nach Darstellungsart und innerer Umschrift auf den Kirchenheiligen Laurentius weist. Dieses Jubiläum gibt Anlaß, in Kürze in der mir zur Verfügung stehenden Zeit drei Aspekte anzusprechen. Was sind Siegel und Wappen und seit wann gibt es sie, was sagt uns die Gestalt des heiligen Laurentius, was bedeutet die schon für 1379 bezeugte Siegelführung für Großgartach?

Die Bezeichnung "Siegel" und "Wappen" werden - auch in der schriftlichen Überlieferung - sehr oft synonym gebraucht, zwischen beiden besteht jedoch ein zunächst grundsätzlicher Unterschied: Siegel sind Beglaubigungsmittel, Wappen sind von der Entstehung her Erkennungszeichen. Zweck des Siegelns war ursprünglich das Beglaubigen einer Urkunde als Ersatz der Namensunterschrift, später dienten Siegel auch zum Verschließen von Schriftstücken und Briefen. Daher finden wir Siegel schon seit Altertum, Wappen entstanden dagegen erst sehr viel später. Im anglo-normannischen und französischen Raum tauchen seit 1127 beim hohen, später auch beim niederen Adel farbige Schildbilder zur Kennzeichnung im Kampf - also in kriegerischen Auseinandersetzungen - auf, die nach bestimmten Regeln gestaltet werden. Diese "Wappen" genannten Zeichen werden so beliebt, daß sie sich rasch beim abendländischen Adel verbreiten. Dieses Auftreten der "Wappen" im 12. Jahrhundert als farbige Kennzeichen in Schildform ist ein neuartiger kultureller Vorgang ohne einen Anschluß an eine bereits bestehende Tradition.
Versuche, die im 12. Jahrhundert aufkommenden Wappen mit antiken, germanischen oder arabischen Einflüssen zu erklären, sind ebenso gescheitert wie die Bemühungen, die Wappen auf alte Heereszeichen, auf Hausmarken oder darauf die germanischen Runen zurückzuführen. Wappen sind letztlich Ausdruck eines mittelalterlichen Ordnungsdenkens, einer spätmittelalterlichen Tendenz, alles in ein System zu bringen. Hatten im 12. Jh. zunächst Angehörige des hohen Adels Wappen geführt und dabei mit Vorliebe Adler, Löwen, Hirsche, Stiere, Eber und Drachen als Wappentier geführt, mit denen von alters her Vorstellungen von Kraft, Stolz und Macht verbunden waren, so folgte die Wappenannahme durch Ministerialien in einem zeitlichen Abstand, und im 13. und 14. Jh. übernahmen diesen Brauch auch Bistümer, Klöster, Universitäten, Städte, einzelne Gemeinden und Bürger. Im 13. Jh. bestand gar schon die Notwendigkeit, das eigene Siegel mit einem besonderen Kennzeichen zu versehen, und dieses Kennzeichen war nichts anderes als das Wappen, das ein Herrscher, eine Stadt, eine Gemeinde oder ein Bürger führte. Das Bild des heiligen Laurentius auf dem Siegel der Gemeinde Großgartach von 1379 ist somit zu gleich ein Hinweis auf das älteste Wappen, das die Gemeinde führte.

Überblickt man die Patrozinien für die Kirchen, Kapellen und Altäre im Bereich des einstigen Königreichs Württemberg, so man fest, daß etwa 75 Kirchen und Kapellen dem heiligen Laurentius geweiht waren, bei weiteren 15 war er – mit einem anderen Heiligen zusammen - Mitpatron, und die Zahl der ihm geweihten Altäre ist noch weit größer. Wer war dieser Sankt Laurentius und welche Umstände bewirkten, daß man ihm in so großer Zahl Gotteshäuser weihte, daß ihm einst eine so große Verehrung entgegengebracht wurde? Laurentius, der wahrscheinlich aus der spanischen Stadt Huesca stammte, lebte im 3. Jahrhundert in Rom und hatte als Archivdiakon ein wichtiges Kirchenamt inne: die Verwahrung der Bücher, des Kirchenschatzes. Nach der Legende nahm ihn Papst Sixtus II. unter die 7 Diakone auf, die mit der Pflege der Armen und der Verteilung der Almosen betraut waren. Als der Papst am 6. August des Jahres 258 als Opfer der Christenverfolgung zur Richtstätte geführt wurde, wollte ihm Laurentius dorthin nachfolgen. Der Papst befahl ihm jedoch, zurückzubleiben und die Schätze der Kirche zu bewahren. Als die weltliche Macht von "Schätzen" hörte und den Diakon zu deren Auslieferung aufforderte, erbat sich Laurentius eine Frist von 3 Tagen zur Herbeischaffung. Während dieser Zeit verschenkte Laurtentius alles Gut der damals armen Kirche unter die Bedürftigen, sammelte alle Notleidenden und Verachteten um sich und zog mit diesen vor den Palast des römischen Kaisers und rief diesem - auf die Schar Kranker und Armer weisend - zu: „So halte ich mein Versprechen, siehe, das ist der unvergängliche Schatz unserer Kirche". Daraufhin wurde er zuerst gegeißelt und mit glühenden Platten gebrannt und schließlich auf einem eisernen Rost zu Tode gebraten. Der fromme Glaube und die gestaltende Phantasie haben Leben und Umstände seines Martyriums ausgeschmückt und damit die Verehrung für diesen Märtyrer gesteigert. Schon kurz nach dem Ende der Christenverfolgung zu Beginn des 4. Jahrhunderts, errichtete man über der Grabstätte des Laurentius eine Gruftkapelle, und sein Fest, das schon vor 354 gefeiert wurde, war nach dem Feste von Peter und Paul das größte in der römischen Liturgie. Im 6. Jahrhundert wurde diese Gruftkapelle zu einer dreischiffigen Basilika ausgebaut, die sich als eine der 7 Hauptkirchen Roms erhalten hat. Was die Verehrung für Laurentius jedoch in ganz besonderer Weise förderte, war die Tatsache, daß eine entscheidende Schlacht in der Geschichte des Mittelalters - die Schlacht auf dem Lechfeld mit dem Sieg Ottos des Großen über die Ungarn - am Laurentiustag des Jahres 955 geschlagen wurde. Uns mag der Tag, an dem sich die Entscheidung vollzog, nicht von besonderer Wichtigkeit sein, ganz anders aber für die Menschen damals, weil ihre starke Gläubigkeit in allem Geschehen das Wirken des Himmels sah. Die nunmehr einsetzende große Hochschätzung des heiligen Laurentius auch nördlich der Alpen fand ihren Ausdruck in der großen Zahl der ihm geweihten Gotteshäuser. Wenn*auch erst 1496 urkundlich belegt ist, daß die Großgartacher Pfarrkirche dem hl. Laurentius geweiht war, so. zeigt das Siegel-von 1379, daß Laurentius bereits spätestens im 14. Jahrhundert als Ortsheiliger galt. Der Heilige wird 1379 noch in einer ganz naturalistischen Art dargestellt, wie er nämlich auf dem Rost ausgestreckt wird. Die spätere Form des Ortswappens seit 1583 zeigt dagegen die Gestalt des Diakons, der alles Leid hinter sich gelassen hat, mit dem roten Diakonsgewand, dem grünen Palmenzweig, dem Zeichen des Märtyrers, in der rechten Hand, und in. der Linken einen schwarzen Rost haltend.

Vergegenwärtigt man sich, daß die ältesten Stadtwappen unseres Landes erst aus dem 13. Jh. stammen - um 1218 Freiburg/Breisgau, 1228 Schwäbisch Hall, 1232 Esslingen, 1243 Reutlingen, 1244 Ulm oder 1246 Konstanz - und vergegenwärtigt man sich, daß nach Großgartach erst wieder im 15. Jh. Siegel für dörfliche Gemeinschaften bezeugt sind - im Bereich der Grafschaft Württemberg 1468 Ilsfeid und 1482 Pfaffenhofen - so läßt das Siegel von 1379 erkennen, daß Großgartach, obwohl keine Bestrebungen einer Stadterhebung urkundlich belegt sind, aus der Vielzahl der dörflichen Gemeinschaften herausgehoben erscheint. Gemeinden, die kein eigenes Siegel führten, ließen in der Regel eine benachbarte Stadt oder den zuständigen Vogt in der Amtsstadt für sich siegeln. Das Recht, ein eigenes Siegel zu gebrauchen, ersparte Großgartach alle mit einer fremden Besiegelung verbundenen Unannehmlichkeiten und auch Kosten. Das Siegel von 1379 zeigt im Vergleich zu anderen Gemeinden einen höheren Grad an Eigenständigkeit und Selbstverwaltung.
Meine Damen und Herren, mit dem Begriff "Wappen" verbindet nicht nur der Historiker den Begriff von Dauerhaftigkeit, Kontinuität und Tradition. Alte Wappen werden als kulturelle Werte empfunden, als historische Zeichen, die geeignet sind, einstige geschichtliche Zusammenhänge aufleuchten zu lassen. Im Wappen von Großgartach hatte der heilige Laurentius eine sechshundertjährige Tradition, im Wappen von Schluchtern war die Figur des Kirchenpatrons Sankt Pankratius immerhin seit 1620 enthalten. Wenn in das heutige Wappen der Gemeinde Leingarten vorne das Schwert als Attribut des hl. Pankratius und hinten der Rost als Attribut des hl. Laurentius aufgenommen wurden, so zeigt das neue Wappen, daß an einer alten heraldischen Tradition festgehalten wurde.

Lokale Agenda 21

Arbeitskreis Stadtgeschichte
Eine Initiative für die Stadt Leingarten


Agenda ist ein lateinisches Wort und bedeutet "Was zu tun ist". Die Zahl 21 steht für das 21. Jahrhundert.

Der Arbeitskreis LebensRaum beschäftigt sich u.a. mit der Historie der beiden ehemaligen Orte Großgartach und Schluchtern und den Besonderheiten der heutigen Stadt Leingarten. Es ist ein natürlicher Prozess, dass das Wissen über die Vergangenheit verblasst und allmählich verschwindet. Dieses Wissen zu bewahren und zusammen mit den heutigen Merkmalen dieser Stadt jedem zugänglich zu machen, sind Teile der Aufgaben des Arbeitskreises. Daraus entstand die Idee für diese Homepage.

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"Aus erlebter Vergangenheit beginnt Geschichte zu werden" 
Roman Herzog


Leingarten hat eine Jahrtausend lange Geschichte, die wir mit der Lokalen Agenda 21 aufbereiten und der Bevölkerung digital zugänglich machen wollen.

Erlebte Vergangenheit hat jeder Bürger der Stadt Leingarten. Viele wissen etwas zu erzählen, was in der Vergangenheit so war - und wir müssen aufpassen, dass dieses Wissen nicht verschwindet.

Deshalb - wenn Sie historische Bilder, Geschichten oder Unterlagen von den beiden ehemaligen Dörfern Großgartach und Schluchtern haben, wären wir dankbar, davon eine digitale Kopie anfertigen zu können.

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Museum "Altes Rathaus"

des Heimatvereins Leingarten


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Dann besuchen Sie doch einmal das Museum im Alten Rathaus, das im Jahre 2020 einen Erweiterungsbau bekommen hat.

Infos: Webpage Heimatverein Leingarten