Überblick zum Jüdischen Friedhof
Der jüdische Friedhof in Leingarten liegt im Ortsteil Schluchtern. Genauer gesagt am östlichen Rand der Gemarkung. Bei Einrichtung des Friedhofes waren rundherum nur Äcker und Wiesen. So lag er damals auch noch in der „Heilbronnerstraße“, der heutigen „Eppingerstraße“. Heute führt eine Straße orthogonal zur Eppingerstraße direkt an den Eingang des Friedhofs. Diese heißt Kiesbergstraße nach dem Flurnamen. Der Boden an dieser Stelle gehört nicht zu den allerbesten, um ihn landwirtschaftlich zu nutzen, wie der Gewannname „Kiesberg“ schon sagt. Heute (seit Ende der 1970er) liegt der Friedhof friedlich und gut behütet eingebettet im Wohngebiet Kiesberg/Augelbaum. Für viele Kinder war es ihre ganze Schulzeit normal jeden Morgen und jeden Mittag am Friedhof vorbeizugehen und neugierig zu den riesigen Grabsteinen zu lugen. Manchmal blieb man auch mal länger stehen und (wenn man dann endlich lesen konnte) entzifferte man die Namen und Jahreszahlen. Sie gehören zu unserem Alltag und es ist für uns nichts außergewöhnliches, Seite an Seite mit ihnen zu leben.
Es ist auch ein Zeichen der Verstädterung Leingartens, dass der Friedhof mitten in einem Wohngebiet liegt und natürlich auch ein Zeichen des räumlichen Zusammenwachsens der beiden Ortsteile. In anderen Städten, wie z.B. Stuttgart, liegt der jüdische Friedhof ebenfalls innerorts.
Der Friedhof ist nicht hinter einer hohen Mauer versteckt, sondern hatte seit den 1970ern einen klassischen braunen Jägerzaun aus Holz als Einzäunung, bis er 2023 einen langlebigeren Metallzaun bekam. Früher, zu Zeiten der jüdischen Gemeinde, war der Friedhof mit einem Lattenzaun umgeben, wie Zeitzeugen noch zu berichten wissen. (Rituelle) Gebäude, wie z.B. ein Taharahaus waren hier nicht vorhanden und in dem Sinn auch nicht zwingend notwendig. Ein Taharahaus war meistens dann sinnvoll, wenn der Tote über eine längere Strecke transportiert worden ist, wie z.B. bei den großen Verbandsfriedhöfen. Dies ist in Schluchtern und der nahen Umgebung nicht notwendig. Auf dem Synagogengelände war eine Remise für den Leichenwagen.
Der Friedhof wird von der Stadt Leingarten als Ewigkeitsaufgabe durch den Bauhof gepflegt. Er steht auch ganz selbstverständlich neben den anderen noch aktiven beiden kommunalen Friedhöfen von Großgartach und Schluchtern auf der Website der Stadt Leingarten. Beerdigungen sind auf ihm so aber nicht mehr vorgesehen bzw. wurden nach 1962 auch nicht mehr nachgefragt, da keine jüdische Gemeinde mehr besteht. Der Friedhof ist jederzeit für die Öffentlichkeit zugänglich und in einem guten Allgemeinzustand.
Der Friedhof hat eine Größe von 349 m² und beherbergt 62 Gräber und 69 Tote zwischen den mehr als 100 Jahren alten Bäumen und Sträuchern. Die Gräber haben sowohl hebräische als auch deutsche Inschriften, und viele Gräber haben beide Sprachen als Inschrift. Dies kann auf den Grad der gefühlten Integration des Verstorbenen hindeuten. Die Grabsteine wurden in der Anfangszeit des Friedhofes mehrheitlich aus Sandstein gefertigt. Da es sich um badisches Gebiet handelt, vermutlich aus dem Steinbruch in Mühlbach. Erst später kamen überwiegend Granitsteine dazu. Grabsteine mit Kalkstein- oder Marmoreinsätzen wurden später gelegentlich auch verwendet. Um die einzelnen Gräber schneller zu finden, sind die Reihen nach dem Alphabet geordnet und in jeder Reihe wird numerisch durchgezählt. Der Beginn der Gräber ist am ältesten Grab, vom Eingang links in der Ecke zu finden. Der Friedhof ist traditionell sortiert nach dem Todestag. Das heißt, das nächste Grab wird immer im Anschluss an das letzte Grab angelegt. Es ist im Judentum eher unüblich, dass es auch Doppelgräber oder Familiengräber gibt. Vor allem in der moderneren Zeit und im städtischen Milieu ist dies häufiger zu finden. Teilweise wurde dies auch gemacht, wenn sich nahestehende Verwandte zeitnah verstarben. Je moderner sich die Menschen fühlten, desto häufiger kommen Mehrfachgräber vor. Vielleicht ist der Gedanke im Tod neben dem liebsten Menschen zu liegen einfach auch ein beruhigender. In Schluchtern ist dies B10 Ehepaar Schwarzwälder, B13 Ehepaar Behr aus Massenbach, C9 4x Geschwister Kirchhausen und E4 Ehepaar Vollweiler.
Bis nach dem Dritten Reich war es üblich von Israelischen Gemeinden und israelischen Friedhöfen zu sprechen. Erst nach und nach etablierte sich die Bezeichnung ‚Jüdischer Friedhof‘. So muss in den alten Plänen bzw. Literatur oder Akten nach einem israelischen Friedhof gesucht werden.
Die älteste Grabreihe.
Beerdigungen vor dem eigenen Friedhof
Der Friedhof in Schluchtern ist vergleichsweise jung und erst 1882 eingerichtet worden. Zuvor musste der beschwerliche Weg zu den Verbandsfriedhöfen nach Waibstadt oder Heinsheim für jede Beerdigung angetreten werden.
Das Durchsehen der ca. 3700 Grabsteine in Waibstadt und Heinsheim (beide Staatsarchiv LB EL 228 b II) ergab, dass unter den noch existierenden und noch lesbaren Grabsteinen lediglich 35 Schluchterner Juden sind. Hierbei ist der Großteil in Waibstadt bestattet worden und lediglich zwei finden sich in Heinsheim. Darunter einer aus dem Jahr 1721 (Grabstein 335), der andere von 1831 (Grabstein 1087).
In Waibstadt sind mehrere Kindergräber vorhanden (z.B. Grabstein 418 oder 438). Es gibt auch zwei Doppelgräber, eines für ein Brüderpaar (Grabstein 440) und das andere für ein Ehepaar (Grabstein 812). Auch in Schluchtern gibt es Doppelgräber. Diese Art von Begräbnis ist eher seltener im Judentum. In Waibstadt ist das älteste Schluchterner Grab von 1819 (Grabstein 383 und 384). Das jüngste Grab ist von 1879 (Grabstein 726).
Bisher unbeachtet in der Forschung ist der Friedhof in Eppingen. Schließlich ist dieser deutlich näher als Waibstadt und Heinsheim und vom Höhenprofil auch einfacher zu erreichen. Dort können gesichert drei Gräber von Schluchterner Juden nachgewiesen werden, die nicht in Eppingen lebten. Dies sind Alexander Hanauer (391), verstorben 25.01.1879 und Julius Hanauer (KG28), verstorben 05.04.1879. Die Familie Hanauer hat verwandtschaftliche Beziehungen nach Eppingen bzw. Richen. Möglicherweise war im Winter 1879 der Weg auch eher möglich nach Eppingen zurückzulegen als nach Waibstadt oder Heinsheim. Weiterhin ist Sara Kahn (KG20), verstorben 27.02.1880, in einem Kindergrab in Eppingen beigesetzt. Über ihre Familie ist in Schluchtern bisher nichts bekannt. Möglicherweise gehört auch Max Wertheimer (KD), verstorben 08.07.1868, nach Schluchtern. Er ist ohne Ortsangabe in Eppingen beerdigt. Eine Familie Wertheimer (auch in der Schreibung Westheimer) ist in Schluchtern lange bekannt gewesen.
Rosenthal erwähnt 1927 explizit in einer Fußnote (S.149) Schluchtern als eine der Gemeinden, die Heinsheim als Friedhof benutzen. Das Alter des Friedhofes in Heinsheim ist laut Rosenthal auch nicht klar, es wird auf das 16. Jahrhundert geschätzt. Sauer (1966), das Heimatbuch Leingarten (1982) und Angerbauer (1986) geben auch nur Heinsheim an. Erst Alemannia Judaica (2003) gibt beide Friedhöfe an, in der Reihenfolge Waibstadt und Heinsheim. Als Quelle geben sie die nicht mehr verfügbare Aufarbeitung der jüdischen Friedhöfe in Baden-Württemberg im jüdischen Zentralarchiv in Heidelberg an. Geiss (2010) gibt ebenso beide an. Zum Teil sind die Grabsteine der natürlichen Verwitterung oder nationalsozialistischer Zerstörung in Waibstadt und Heinsheim zum Opfer gefallen. Es ist nicht bekannt, dass dies in Schluchtern auch der Fall wäre.
Von welchen anderen Gemeinden wurden Juden in Schluchtern begraben?
Der Friedhof war auch für jüdische Mitbürger der umliegenden Gemeinden zugänglich. So wurden auch jüdische Mitbürger aus den Gemeinden Massenbach (10 Personen), Massenbachhausen (2 Personen) und Gemmingen (1 Person) auf dem nahegelegeneren Friedhof in Schluchtern beigesetzt, anstatt den Weg bis Waibstadt oder Heinsheim zu machen. Diese Gemeinden wurden zeitweise vom Rabbiner in Schluchtern mitbetreut, da sie u.a. zu klein wurden, um selbständig zu bleiben. Die Aufzählung unten beinhaltet i.d.R. außerhalb von Schluchtern geborene, gelebte und verstorbene Menschen.
Ort | Anzahl Gräber | Grabnummern |
Massenbach | 10 | A9, B1, B2, B4, B12, C3, C5, E3, E5 |
Massenbachhausen | 2 | D3, D6 |
Gemmingen | 1 | D9 |
Grabstein D3
Besondere Gräber
Grundsätzlich ist zu beachten, dass (historische) jüdische Friedhöfe heute als Kulturdenkmal gelten und als solche geschützt sind. Trotzdem sind nicht alle Grabsteine laut Landesdenkmalamt aus historisch-kultureller Sicht wertvoll. Dies bedeutet in der Praxis, dass bei einem zunehmenden Verfall nicht alle Grabsteine gleichermaßen von Amtswegen konserviert und restauriert werden würden. Relevant sind Grabsteine mit besonderer künstlerischer Ausgestaltung, besonderer Inschrift oder auch auf Grund der Gemeindestellung.
Das Landesdenkmalamt gibt in seinem Kurzportrait von 1991 im Auftrag des Landes Baden-Württemberg über den jüdischen Friedhof an, dass die Grabsteinformen sehr uneinheitlich seien und etwas aus dem Rahmen des Üblichen fallen würden. Was konkret aus ihrer Sicht gemeint ist, geben sie nicht an. Tatsächlich unterliegt auch die Grabkultur einer jeden Religion gewissen Trends. Abgesehen von spezifischen jüdischen Dekorelementen und der hebräischen Schrift würden sie im Vergleich mit christlichen Grabsteinen aus derselben Zeit kaum auffallen. So ist der jüngste Stein von 1962 eher so gestaltet, wie man es auch auf einem christlichen in dieser Zeit erwarten würde. 1882 waren hohe Sandsteingrabsteine üblich. So ähnliche Grabmale befinden sich auch in den historischen Teilen der Friedhöfe in Großgartach und Schluchtern. Individualität muss nichts Negatives sein.
Die Reihe F
Die Reihe F ist die hinterste Reihe, vom Eingang ganz rechts. Eine extra ausgewiesene Kinderreihe ist eine Besonderheit, vor allem bei einem kleineren Friedhof. Da diese quasi mitten in der Reihe beginnt, liegt die Vermutung nahe, dass es am Rand der Reihe auch einen unmarkierten Bereich für Sternenkinder und Totgeburten gibt. Die Gräber beginnen in der Mitte der Reihe. Dies ist eher ungewöhnlich. F5 ist vermutlich der älteste Grabstein in dieser Reihe.
F4-7
Aus Denkmalsicht zu schützende Gräber
Auf der Liste der „wertvollen Gräber“ befanden sich ursprünglich 14 Stück, wovon drei wieder komplett gestrichen wurden. Dies heißt nicht, dass andere Gräber nicht auch interessante Geschichten verbergen.
A1 = ältester Stein
Erstes Grab vom Mai 1882.
Typisch für Gräber aus dem 19. Jh. ist, dass die deutsche Inschrift auf der Rückseite ist, auf der Vorderseite hebräisch. In deutscher Sprache ist nur der Name und die Lebensdaten vermerkt. Später wurde das Deutsche mehr und wandert auch vermehrt auf die Vorderseite. Auf dem Friedhof gibt es dafür auch Beispiele.
Ab dem 19. Jahrhundert werden Naturornamente als Zierden beliebter. Diese haben nur teilweise religiöse Bedeutungen.
Kränze, oft kunstvoll und detailreich. Kränze sind nicht religiöse Zeichen, manche haben auch Hinweise auf antike Mythen (Wein und Efeu).
Stern, hier kein Davidstern. Reines Ornament, manchmal auch mit der Bedeutung auf den Messiasstern. Siehe Bibelvers 4. Mose 24,17: aus Jakob wird ein Stern aufgehen. Sterne symbolisieren Licht. Licht steht für Leben oder göttlicher Wille.
Akroterien (kunstvolle Spitzen auf dem Dach), stammen aus antiker Tempelarchitektur. Auf dem Giebelfirst und den Ecken sind Palmetten und dienen zur Bekrönung.
Palmetten, in den Akroterien. Symmetrische Abstraktion eines Blattes der Fächerpalme.
A3 = Stifter des Friedhofes
Das Dach hat keine Giebelspitze, sondern einen Rundbogen. So passt sich der Kranz harmonisch in das Dach ein.
Efeukranz, hier oben offen. Der Efeu ist detailliert mit Blattader und Efeufrüchten dargestellt. Beliebt ist Efeu bei Gärtnern, da es eine immergrüne Pflanze ist. Diese Dauerhaftigkeit wird mit Treue, Ewigkeit, Unsterblichkeit, Auferstehung und ein langes Leben in Verbindung gebracht. Schon seit der Antike wird der Efeu mit den Wiedergeburtsmythen von Dionysos und Osiris in Verbindung gebracht. Die Verzierung mit Bändern ist häufig bei Kränzen.
Mohn/Schlafmohn, in den Akroterien (Spitzen auf dem Dach) sind kleine Kugeln kombiniert mit Ranken. Diese stellen Mohn da. Bekanntlich hat Mohn eine berauschende (Grundstoff für Heroin) und schlaffördernde Wirkung. Der Mohn wird nicht als Blüte, sondern als Samenkapsel dargestellt und ist ein Zeichen für den ewigen Schlaf/Todesschlaf. Der Mohn spielt seit der Antike in diversen Kulten und Religionen eine große Rolle. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Darstellung von Mohn häufiger zu finden. Die chemische Herstellung von Heroin, zunächst als Medikament, wird in dieser Zeit vorangetrieben.
A6 = Stein
Der Grabstein erinnert an die Tore des Tempels Jerusalem und kann auch für das Durchschreiten durch die Himmelstore stehen, also der Zugang zum Himmel. Diese Art der Grabsteingestaltung erinnert an den Klassizismus und wird allgemein als Historismus bezeichnet. Dieser Grabstein stammt aus dem Jahre 1889, in dieser Zeit wurde der Historismus beliebt, nicht nur bei Grabsteinen, sondern auch bei Gebäuden.
Es sind rechts und links zwei Pilaster mit einer Basis unten und einem Kapitell oben zu sehen. Basis und Kapitell sind schlicht. Dagegen sind die Pilaster gleichmäßig mit einem zickzack Muster bebändert.
Auf dem Pilaster ist ein kunstvoll gestalteter Architrav (horizontaler Balken auf den Säulen). Der Architrav hat in der Mitte einen Ausschnitt einer heraldischen Lilie. Verziert wurde der Architrav mit Voluten, also Ranken, hier mit Blattwerk. Möglicherweise grob stilisierte Efeublätter.
A8 = Stein
Die Grabsteine A6 und A8 sind beinahe identisch, abgesehen vom Dachabschluss. Die Verstorbenen sind unseres Wissens weder verwandt noch verschwägert.
Die Steinmetze hatten ein Repertoire, nach dem man den Grabstein nach einem Baukastensystem zusammenstellen kann. Diese Formen sind beliebt gewesen in dieser Zeit.
A10 = Symbol
Levitenkanne, hier gehalten von einer Hand und mit einer Schüssel, in die Wasser gegossen wird. Die andere Hand hält ein Handtuch. Interessant ist die Art und Weise, wie die Gegenstände gehalten werden oder eben nicht. Dies hat nicht nur etwas mit dem Können des Steinmetzes zu tun. Im jüdischen Glauben sind Darstellungen von Menschen auf Grabsteinen nicht gestattet. So werden Hände nicht realistisch dargestellt. Die Kanne bedeutet, dass an dieser Stelle ein Mensch aus dem Stamme Levi beerdigt worden ist. Der Sprachwandel hat diverse Varianten für den Namen Levi hervorgebracht: Levy, Löw, Löwenthal, Halevi. Dieser Stamm hat im Tempel diverse Aufgaben (u.a. waren sie Diener und Beschützer des Tempels) zu erfüllen und waren für die kultische Reinheit zuständig. Den Priestern/Kohanim wird im jüdischen Glauben durch eine Person levitischer Abstammung vor dem rituellen Opfern bzw. dem Priestersegen die Hände gewaschen. Indem aus einer Kanne Wasser über die Hände gegossen wird und in einer Schüssel aufgefangen wird.
A13 = Abbildung (von der Liste gestrichen)
B2 = Symbol (von der Liste gestrichen)
Segnende Hände, als Zeichen für ein Nachkomme des Geschlechts Aarons/aaronitische Priestergeschlecht, manchmal auch für Nachfahren des Geschlechts der Leviten (näheres siehe Levitenkanne – A10). Sie werden heute Kohanim genannt. Durch Sprachwandel weisen heute folgende Namen auf Nachfahren Aarons bzw. der Kohanim hin. Cohen, Cahn, Kahn, Katz. Der Singular von Kohanim ist Kohen. Aaron war der erste Priester im Tempel Jerusalems. Er hat damit ein Priestergeschlecht begründet. Ihre Aufgabe im Tempel ist es Segen zu spenden und die Opfer im Tempel darzubringen, nur Nachfahren des Aarons haben dieses Recht. Der Segen wird durch die Segensgeste gespendet, bei der die Finger gespreizt nach oben zeigen. Die Daumen und die Zeigefinger der beiden Hände berühren sich, die restlichen Finger nicht. In der Regel wird die Zugehörigkeit zu den Kohanim über die männliche Linie vererbt. Bei Frauen wird dieses Symbol auf Grabsteinen höchst selten verwendet. Die Darstellung der Hände ist bewusst unrealistisch und hat nichts mit der Versiertheit des Steinmetzes zu tun. Im jüdischen Glauben sind Darstellungen des Menschen auf Grabsteinen nicht erwünscht.
Auf folgenden alttestamentarischen Bibelvers wird sich bezogen: 4. Mose 6, 24 – 25 bzw. Numeri 6,22-26 "Und der Ewige redete zu Moses also: Rede zu Aaron und zu seinen Söhnen und sprich: 'Also sollt ihr segnen die Kinder Israels und sprich zu ihnen: Es segne dich der Ewige und behüte dich. Der Ewige lasse dir leuchten sein Antlitz und sei dir gnädig. Der Ewige wende sein Antlitz dir zu und gebe dir Frieden'".
Dieser Verstorbene war Rabbiner in Massenbach & Massenbachhausen und hatte die Gemeindestellung eines Kohen inne. Ein Kohen muss nicht zwangsläufig auch Rabbiner sein.
B8 = erhaltene Urne
Urnen deuten nicht auf eine Feuerbestattung hin! Feuerbestattungen sind nicht üblich im Judentum. Steht symbolisch für die Vorstellung, dass der Leib wieder zu Staub wird. Siehe Bibelvers 3,19: Denn Staub bist du und zum Staube kehrst du zurück.
B10 = Gemeindestellung
C6 = Gemeindestellung
D1 = Gefallener
Landsturmmann im Infanterie Regiment 110. Gefallen im 1. Weltkrieg.
Der Landsturm war eine Ergänzung zu Heer und Marine. Er wurde mit allen wehrpflichtigen und wehrfähigen Männern ausgestattet, die nicht bei Heer oder Marine waren.
D7 = Gemeindestellung, (Symbol -> von der Liste gestrichen)
Widderhorn, auch Schofar genannt. Weist auf das Ehrenamt des Schofarbläsers hin. In der Regel wird an zwei Tagen im Jahr das Schofarhorn geblasen. Am Neujahrstag im Sept./Okt. und am Versöhnungstag/Jom Kippur. Durch das Blasen des Schofarhorns werden die Sünder zum Umkehren gemahnt. Abseits dieser zwei regelmäßigen Tage kann es auch zum Lobe des Herrn an hohen Festtagen geblasen werden. Dies verweist auf den Psalm 159,3.
Manchmal kann es auf Grabsteinen auch nicht auf das Ehrenamt hinweisen. Dann soll das Schofarhorn auf die Auferstehung hinweisen. Am Ende der Zeit, wenn das große Weltgericht tagen wird, kommt der Messias und wird die Toten aufwecken durch das Blasen des ‚Großen Schofar‘. Dies verweist auf Jesaja 27,13 dann werden alle Verlorenen heimkommen und anbeten.
In seltenen Fällen kann es in Kombination mit anderen Symbolen (z.B. mit Lorbeer = Festfreude) auch für ein musikalisches Talent stehen.
E6 = Symbol (von der Liste gestrichen)
Levitenkanne, hier als stehendes Gießgefäß ohne Details oder Verzierungen. Der komplette Grabstein ist ohne große Details und bescheiden gestaltet. Dies entspricht dem Charakter des Verstorbenen.
Die Kanne bedeutet, dass an dieser Stelle ein Mensch aus dem Stamme Levi beerdigt worden ist. Der Sprachwandel hat diverse Varianten für den Namen Levi hervorgebracht: Levy, Löw, Löwenthal, Halevi. Dieser Stamm hat im Tempel diverse Aufgaben (u.a. waren sie Diener und Beschützer des Tempels) zu erfüllen und waren für die kultische Reinheit zuständig. Den Priestern/Kohanim wird im jüdischen Glauben durch eine Person levitischer Abstammung vor dem rituellen Opfern bzw. dem Priestersegen die Hände gewaschen. Indem aus einer Kanne Wasser über die Hände gegossen wird und in einer Schüssel aufgefangen wird.
Die zwei traditionellen hebräischen Schriftzeichen bedeuten „Hier ruht…“. Die Levitenkanne, in diese traditionelle Zeile eingefügt, betont die Abstammung vom Levitischen Stamm.
E7 = Gefallener
Text & Fotografien: Nicole Büchele. Aktualisiert im November 2024.
Die Lokale Agenda 21 bedankt sich bei allen Archiven und Heimatvereinen im Landkreis Heilbronn und darüber hinaus für die Unterstützung und den fruchtbaren Austausch!
Quellen:
Alemannia Judaica: Schluchtern Friedhof. (2003)
https://www.alemannia-judaica.de/schluchtern_friedhof.htm
Angerbauer: Jüdische Gemeinden im Kreis und Stadt Heilbronn (1986)
Findbuch EL 228 b II Landesdenkmalamt Baden-Württemberg: Dokumentation der jüdischen Grabsteine in Baden-Württemberg, Fotografien https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=24368
Friedhöfe der Stadt Leingarten: https://www.leingarten.de/leben-und-wohnen/stadteinrichtungen/friedhoefe
Geiss: Geschichte der Juden in Schluchtern (2010)
Heimatbuch Leingarten (1982)
Heimatfreunde Eppingen: Rund um den Ottilienberg. Band 5. Der jüdische Friedhof in Eppingen. (1989)
Konnerth, Michael: Der Jüdische Friedhof bei Bad Rappenau-Heinsheim. Bad Rappenau. 2008.
Rosenthal: Heimatgeschichte der badischen Juden seit ihrem geschichtlichen Auftreten bis zur Gegenwart (1927)
Sauer: Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. (1966)
Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart (1966), Beitrag zu Schluchtern, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: https://www.leo-bw.de/themenmodul/juedisches-leben-im-suedwesten/judische-gemeinden-bis-1945/wurttemberg, Stand: 20.11.2022
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Quellen zur Symbolik von jüdischen Grabsteinen:
Konnerth, Michael: Der Jüdische Friedhof bei Bad Rappenau-Heinsheim. Bad Rappenau. 2008.
Schloss Großlaupheim Museum: Information Symbolik auf jüdischen Grabsteinen.
https://www.schule-bw.de/faecher-und-schularten/gesellschaftswissenschaftliche-und-philosophische-faecher/landeskunde-landesgeschichte/module/epochen/neuzeit/juden/laupheim/ab2h-1.pdf
Institut für Israelogie der Freuen Theologischen Hochschule: Jüdische Symbolik auf dem Friedhof.
https://www.israelogie.de/juedische-traditionen/juedische-symbolik-auf-dem-friedhof/
Jüdisches Leben in Ingenheim: Der Friedhof.
https://www.juedisches-leben-in-ingenheim.de/de/der-friedhof/ornamente-und-symbole/60/ornamente-und-symbole.html
MDR: Symbole des Judentums. Von Davidstern, Kippa und Toraschrein.
https://www.mdr.de/religion/judentum-religioese-symbole-104.html
Spurensuche Jüdische Friedhöfe in Deutschland:
Grabsteingestaltung: http://spurensuche.steinheim-institut.org/grabsteine.html
Jüdische Symbolik: http://spurensuche.steinheim-institut.org/jsymb.html
Nichtjüdische Symbolik und Ornamentik: http://spurensuche.steinheim-institut.org/njsymb.html
Die deutsche Inschrift: http://spurensuche.steinheim-institut.org/deutsche.html
Gräberverzeichnis: (Quelle: Archiv der Stadt Leingarten) |